Als ich mich für das Thema meiner Doktorarbeit entschied („Strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund von Vorbereitungshandlungen im Rahmen von Vorverlagerung der Strafbarkeit“), sagte mein Doktorvater: „Wenn Sie dieses Thema studieren wollen, sollten Sie lange in Deutschland bleiben und Ihr Deutsch verbessern“. Er hatte Recht. Trotz der Bedeutung des Themas ist in der Türkei bisher weder eine Dissertation oder eine Habilitation darüber verfasst worden. Darüber hinaus wurde das Thema in türkischen wissenschaftlichen Aufsätzen nicht bearbeitet. Im deutschsprachigen Raum wurden jedoch seit den frühen 1900er Jahren, insbesondere seit 2000, mehrere Dissertationen und Habilitationen, Monografien und Aufsätze darüber veröffentlicht. Dennoch ist es eine Ausnahme, dass ein türkischer Strafrechtler nach Österreich kommt, um zu forschen. Zumindest kenne ich nur einen türkischen Kollegen, der vor mir in Österreich an seiner Doktorarbeit geforscht hat. Grund dafür ist, dass türkische Forscher ihre Forschungen zu Doktorarbeiten traditionell größtenteils in Deutschland und in gewissem Maße auch in Italien durchführen. Im Übrigen habe ich nach meiner Zeit in Wien mehr als ein Jahr in Berlin verbracht. Wenn man in der Türkei im Strafrecht forscht und Deutsch sprechen kann und auch außerhalb Deutschlands geforscht hat, ist das von Vorteil. Durch meine „Wiener Tage“ kann ich jetzt auch „andere Worte“ sagen.
Wien als erste Wahl
Der zweite Grund ist eher persönlicher Natur. Als ich die Möglichkeiten, in Österreich zu forschen, analysierte, brauchte ich nicht lange zu überlegen, um zu versuchen, in Wien zu forschen. Wien war 2016 die erste Stadt in Europa, die ich als Tourist besucht habe. Die Erfahrung, in Istanbul zu leben, hat mich zu einem Großstadtmenschen gemacht. Wien ist eine meiner Lieblingsstädte, „Primus inter Pares“. Die Schönheit, die dem ästhetischen Empfinden entgegenkommt; die Kultur - die Möglichkeiten der Kunst; die hohe Lebensqualität, obwohl man in einer Großstadt lebt; die Kaffeehauskultur, die ich aus Istanbul kenne... Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Wien eine Stadt ist, in der man sich wohlfühlen kann.
Aufenthalt mit dem Ernst Mach-weltweit Stipendium
Von 01.09.2021 bis 30.11.2021 forschte ich mit Ernst Mach-weltweit bei Prof. Dr. Alexander Tipold an der Universität Wien. Besonders herzlich möchte ich mich bei ihm bedanken, dass er mir die Möglichkeit gegeben hat in Wien zu forschen und sich mit meinen Fragen zum Dissertationsthema zu befassen. Ich bedanke mich auch beim OeAD für die Unterstützung, die das Schreiben dieser Dissertation ermöglicht hat.
Pandemie und Erfolge
Zunächst einmal kann ich einfach sagen, dass die Zeit in Wien für mich sehr nützlich war und mich sehr glücklich gemacht hat, aber ein negatives Ereignis war die Pandemie. Die Pandemie-Vorkehrungen haben sowohl meine Reisepläne als auch meine Recherchen zu einem komplizierten Unterfangen gemacht. Während meiner Zeit hier habe ich zum ersten Mal intensiv Deutsch gelesen, einen Artikel fertiggestellt und einen Vortrag gehalten. Und ich hatte auch Zeit für Sightseeing. Ich war zum ersten Mal in Graz und Linz und habe eine andere Stadt, die ich sehr mag – die goldene Stadt Prag – kurz besucht. In Wien war ich viel in der Bibliothek und hatte Routinen, wie abends auf der Ringstraße spazieren zu gehen, Zeit in meinen Lieblingscafés zu verbringen oder Musik im Universitätsgarten zu hören, wenn es nicht zu kalt war.
Abschluss der Doktorarbeit und bevorstehende Habilitation
Ich habe mittlerweile meine Doktorarbeit erfolgreich abgeschlossen. Jetzt habe ich mir eine Pause verdient, bevor ich mich auf meine Habilitation vorbereite. In Wien habe ich meine ersten Forschungserfahrungen im Ausland gesammelt. Ich denke, es war mein Glück, dass ich diese ersten Erfahrungen in einer so wunderbaren Stadt machen konnte. Mein Betreuer und das Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien waren mir eine große Hilfe. 2022 war ich wieder in Wien und möchte auch für meine Habilitation hierher zurückkehren. Wien ist mir so ans Herz gewachsen, dass ich mich hier genauso zu Hause fühle wie in Istanbul.
CV
Erdi Yetkin wurde 1991 in Istanbul geboren. Er arbeitete fünf Jahre lang als Rechtsanwalt, bevor er mehr als vier Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Dr. Barış Erman an der Universität Yeditepe (Istanbul/Türkei) tätig war. Das Strafrecht interessiert ihn sowohl in dogmatischer als auch in praktischer Hinsicht. Aus diesem Grund hat er an der Universität Istanbul bei Prof. Dr. Adem Sözüer im Bereich des Strafrechts promoviert. Am 24.11.2023 hat er seine Dissertation verteidigt und die Würde eines Doktors des öffentlichen Rechts erlangt. Die Dissertation wurde auch in Form eines Buches veröffentlicht. Derzeit ist er Kandidat für eine Stelle als Assistenzprofessor.
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