Wer kennt sie nicht – die Lange Nacht der Forschung, die European Researchers' Night oder die vielen kleinen Science-Center in Österreich? Viele dieser Initiativen zielen darauf ab, Erwachsenen Wissenschaft und Forschung näher zu bringen und spannende Themen zu vermitteln. Um einen genaueren Blick darauf zu werfen, wie Einrichtungen die Zielgruppe 30+ erreichen können, reflektierten im Rahmen der Podiumsdiskussion drei Expert/innen unter der Moderation von Marlene Nowotny (ORF) verschiedene Ansätze und Methoden.
Das Podium setzte sich aus dem Sparkling-Science-Projektleiter Michael Knoflach (Medizinische Universität Innsbruck & Vascage), der Leiterin der Vermittlung am Jüdischen Museum Hohenems Angelika Purin und dem Projektmanager Michael Schöppl (ScienceCenter-Netzwerk) zusammen. Der vierte Podiumsgast Werner Gruber (Forschungskoordinator des Landes Burgenland) musste krankheitsbedingt kurzfristig absagen.
Die Schwerpunkte der Diskussion
Folgende Fragen standen im Fokus der Veranstaltung:
- Wie können Menschen erreicht werden, die mitten im Beruf stehen und/oder familiäre Verpflichtungen haben bzw. mit vollen Terminkalendern konfrontiert sind?
- Wie und wo können sie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen in Berührung gebracht oder im Rahmen von Forschungsprojekten angesprochen werden?
- Welche Kommunikations- und Vermittlungsmaßnahmen funktionieren gut, welche weniger?
- Sind die Angebote von Beginn an gut angekommen oder mussten sie adaptiert werden? Welche Lessons Learned hat es gegeben?
Werden Angebote für 30+ überhaupt durchgeführt?
Zu Beginn der Diskussion zeigte eine kurze Umfrage, dass die Mehrheit der Anwesenden bzw. Teilnehmenden selbst auch Maßnahmen für die Zielgruppe 30+ durchführen. Genannt wurden beispielsweise die Lange Nacht der Forschung, European Researchers' Night, Citizen.Science-Projekte, Pint of Science und Laborkurse für Erwachsene.
Innovative Angebote im Jüdischen Museum Hohenems
Auf die Frage, warum die Ansprache von Eltern wichtig ist, antwortete Angelika Purin, dass diese trotz der wenigen (zeitlichen) Ressourcen ein Bedürfnis danach haben, mit ihren Kindern sinnvollen bzw. sinnstiftenden Aktivitäten nachzugehen. Um das jüdische Viertel zu entdecken, können Familien z.B. einen Rucksack mit verschiedenen Gegenständen wie einem Fernrohr und einer Landkarte spontan und kostenlos im Museum ausborgen. Dabei werden u.a. über ein Lied oder eine Seife verschiedene Sinne angesprochen. Nach dem Rundgang sind die Teilnehmenden eingeladen, offen gebliebene Fragen mithilfe eines Booklets im Museum zu erarbeiten. Ein weiteres Format, das speziell für betreuungspflichtige Personen entwickelt wurde, ist ein Rundgang, der mit Kinderwagen absolviert werden kann. Dieser wird an die unterschiedlichen Bedürfnisse angepasst: Es werden keine Stiegen genutzt, Personen können sich kurz von der Gruppe entfernen, es gibt Raum für Austausch etc. Mit diesen Formaten sollen neue Zielgruppen ins Museum gelockt werden, denn bisher besuchen vor allem Kinder und Jugendliche über Schulangebote sowie Pensionist/innen das Museum.
Erwachsene über deren Kinder erreichen
Im Sparkling-Science-Projekt "YOUhealTH" werden laut Michael Knoflach Erwachsene bzw. Eltern über die beteiligten Schülerinnen und Schüler zum Thema "Gesundheitsförderung" eingebunden. Im Rahmen des Projekts werden den Erwachsenen kostenlose Vorsorgeuntersuchungen angeboten, für die sie auch eine Zeitbestätigung erhalten. Dies scheint jedoch kein allzu bedeutender Faktor zu sein, denn die beteiligten und motivierten Eltern schaufeln sich für das Projekt gerne Zeit frei, so Knoflach. In diesem Fall spielt auch die Uhrzeit keine Rolle. Im Gegensatz dazu ist Zeit bei anderen Initiativen, die z.B. Workshops eher abends nach der Arbeit anbieten, um eine höhere Teilnehmer/innenzahl zu erreichen, von hoher Bedeutung.
Forschende treffen auf ihre Nachbar/innen
Auch im Projekt "Und mittendrin, die Wissenschaft" unter der Leitung von Michael Schöppl werden Erwachsene im 21. und 22. Wiener Gemeindebezirk angesprochen, um sich mit benachbarten Forschenden über Wissenschaft auszutauschen. Im ersten Schritt werden Workshops bei lokalen Community-Partnern wie Pensionist/innenclubs durchgeführt, bei denen Bürgerinnen und Bürger eigene Perspektiven auf den Alltag und auf Wissenschaft sowie Themen, die sie beschäftigen, einbringen. Laut Michael Schöppl geht es dabei nicht um fachspezifische Themen, sondern darum, Wissenschaft als Denkweise bzw. als Haltung zu vermitteln. Im Projekt geschieht dies über verschiedene methodische Zugänge, wie z.B. "Mystery Tubes". Das Wichtigste ist dabei, Neugierde zu wecken und den Menschen gut zuzuhören. Erst im zweiten Schritt kommen diese Personen bei einer großen Veranstaltung mit den Wissenschaftler/innen aus der Nachbarschaft zusammen.
Empfehlungen für die Einbeziehung der Zielgruppe 30+
Der Bezug zur eigenen Lebensrealität muss vorhanden sein, um bei Menschen Interesse zu wecken. Allerdings gibt es nicht das eine Thema, mit dem alle erreicht werden können. Die Podiumsgäste waren sich einig, dass die Zugänge für Erwachsene denen für Kinder und Jugendliche sehr ähnlich sind. So funktionieren etwa spielerische oder kreative Zugänge sehr gut, die vielleicht anfangs die Wissenschaft in den Hintergrund rücken. Kreativität wird beispielsweise im Jüdischen Museum Hohenems genutzt, um auch Menschen zu erreichen, die normalerweise kein Museum besuchen, weil die Hürde zu groß ist. Es kann sein, dass sie das Museum als keinen Ort für sich selbst empfinden, dass ihnen die Texte zu kompliziert sind etc. Um diese Menschen zu erreichen, sind kreative Formate wie beispielsweise "Tandem im Museum" gefragt. Dabei schreiben zwei Menschen gemeinsam im Museum eine Geschichte über ein Objekt, das sie schön oder interessant finden, ohne mehr darüber zu wissen. Erst im zweiten oder dritten Schritt beschäftigen sie sich mit dem wissenschaftlichen Inhalt des Objekts.
Ein weiterer Aspekt ist das Thema "Kinderbetreuung". Wenn es einer Initiative finanziell möglich ist, Betreuungsangebote für Kleinkinder zur Verfügung zu stellen, kann das die Teilnahme-Barriere für Eltern deutlich reduzieren. Die Zusammenarbeit mit regionalen Community-Partnern wie z.B. Pensionist/innenheimen, Jugendzentren, Baugruppen, Fußballvereinen oder Nachbarschaftszentren, die mit der Zielgruppe bereits arbeiten, ist sehr wichtig. Generell sollten vorgefertigte Visionen darüber, was am Ende rauskommen sollte, vermieden werden und der Wille da sein, gemeinsam etwas zu erarbeiten, sich auf Augenhöhe zu begegnen und Wertschätzung zu zeigen. Zudem stimmten alle Podiumsgäste überein, dass die Einbindung von Erwachsenen viel Zeit und Energie erfordere – ein Investment, dass sich aber auf jeden Fall lohnt!
Mehr zu den Initiativen und weitere Empfehlungen können Sie in der Veranstaltungsaufzeichnung nachschauen.