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OeAD Country Talk Bosnien und Herzegowina, 11. April 2024 - Nachlese

Bei den 5. OeAD Country Talks standen die vielschichtigen Kontakte zwischen Bosnien und Herzegowina und Österreich insbesondere in Bildung und Wissenschaft im Fokus.
11 min lesen · 24. April 2024

Im Rahmen der OeAD Country Talks werden Länder und Regionen vorgestellt, die nicht unbedingt als typische Partnerdestinationen für Wissenschafts- und Bildungskooperationen wahrgenommen werden. Diesmal wurden die vielfältigen Verflechtungen zwischen Bosnien und Herzegowina und Österreich, insbesondere der Bildungs- und Wissenschaftskooperation vorgestellt. Eröffnet wurde die Veranstaltung von OeAD-Geschäftsführer Jakob Calice, Ehrengäste waren die österreichische Justizministerin Alma Zadić, der bosnische Botschafter Siniša Bencun und der Sprachwissenschaftler Nedad Memić.

Jakob Calice betont, dass sich der OeAD seit seiner Gründung immer für Internationalisierung eingesetzt hat und dieses Thema in der DNA der Organisation verankert ist.  In diesem Zusammenhang werden zahlreiche Veranstaltungen organisiert, die zeigen, wie Hochschulkooperationen gelebt werden, um Beispiele aus der Praxis vorzustellen und um Interesse für zukünftige gemeinsame Projekte zu wecken. Zwischen Bosnien und Herzegowina und Österreich bestehen historisch und aufgrund der regionalen Nähe zahlreiche Verbindungen und Kooperationen. Auch die Aktivitäten des OeAD bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte, von denen einige besonders hervorgehoben wurden: Der Austausch von Studierenden und Lehrenden im Rahmen von regionalen und europäischen Programmen - wie etwa CEEPUS oder Erasmus+ sowie die Unterstützung Bosniens bei der Entwicklung einer Berufsbildungsstrategie durch die Arbeit der österreichischen Bildungsbeauftragten im OeAD-Büro in Sarajevo.

Jakob Calice weist auch darauf hin, dass es in Österreich viele Menschen gibt, die aus Bosnien und Herzegowina stammen und hier Wurzeln geschlagen haben. Eine prominente Vertreterin ist Alma Zadić. Als Zehnjährige floh sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder vor dem Bosnienkrieg nach Wien. Sie absolviert 2007 das Diplomstudium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, wo sie zehn Jahre später auch promovierte.

Im Gespräch mit Jakob Calice erzählte sie von ihren Erfahrungen als Kind im Wien der 1990er Jahre, wo sie auf der Straße ermahnt wurde, Deutsch zu sprechen. Seitdem hat sich viel verändert. Zadić betont, dass ihre Migrationsbiografie sie sehr geprägt hat, im Berufsalltag in einer internationalen Anwaltskanzlei dieses Thema jedoch in den Hintergrund getreten ist. Erst als sie ankündigte, in die Politik zu gehen, wurde sie wieder damit konfrontiert. Die Zeitungen titelten etwa: „Flüchtlingskind geht in die Politik“.  2020 als sie als Justizministerin angelobt wurde und in der Öffentlichkeit in einer exponierten Position stand, gab es eine Welle von Hass und Hetze. Für manche war es undenkbar, dass jemand, der nicht in Österreich geboren ist, Justizministerin wird. Sie betont, dass es gleichzeitig eine große Welle der Solidarität von vielen unterschiedlichen Menschen gab, die sich hinter sie gestellt haben und diese schönen und positiven Momente haben ihr Kraft gegeben. Sie hofft, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt und dass bei der nächsten Person mit Migrationshintergrund in einem Ministeramt viel mehr darauf geachtet wird, welche Qualifikation diese Person mitbringt.

Weiters erzählt Zadić von ihren internationalen Studienerfahrungen. Sie hat über Erasmus+ zwei Semester in Italien studiert, konnte sich mit einem Fulbright-Stipendium den Wunsch erfüllen, an der für Juristinnen renommierten Columbia University, School of Law in New York zu studieren und war auch mit einem EU-geförderten Praktikum in Holland. Sie meint, dass es mit einer Migrationsbiographie eventuell leichter ist, noch einmal den Lebensmittelpunkt zu wechseln, aber gleichzeitig hat es sie ins Ausland gezogen, weil sie andere Kulturen kennenlernen und mehr Sprachen lernen wollte. Sie betont, dass es ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich gewesen wäre, im Ausland zu leben. Auch die Ermutigung von Freunden und Bekannten sei wichtig gewesen, sich zu bewerben und diesen Schritt zu wagen. Sie sieht sich auch als Vorbild für andere, sich mehr zuzutrauen und mutige Schritte zu setzen.

Internationalisierung ist für sie eine Herzensangelegenheit, weil man dabei Erfahrungen macht, die man zu Hause nicht machen könnte: „Man geht ins Ausland und kommt als neuer Mensch zurück“.  Außerdem stehen wir als Gesellschaft gemeinsam vor vielfältigen Herausforderungen, wie der Klimakrise, für die es internationale und globale Lösungen braucht.

Im anschließenden, von Andreas Obrecht moderierten Gespräch mit dem Germanisten und Kommunikationsmanager Nedad Memić ging es um die Sprache als gemeinsames kulturelles Erbe zwischen Österreich und Bosnien und Herzegowina. Memić wurde in Sarajevo geboren, wo er die ersten 25 Jahre seines Lebens verbrachte. Von 1997 bis 2001 studierte er Germanistik und Anglistik an der Universität Sarajevo. 2002 kam er mit einem Stipendium der Republik Österreich über den OeAD an die Universität Wien, wo er 2005 sein Doktoratsstudium in deutscher Philologie abschloss. In seiner wissenschaftlich-publizistischen Arbeit fokussierte sich Memić auf den Sprachkontakt österreichisches Deutsch-Bosnisch sowie auf die deutsche Sprache und Mehrsprachigkeit im k.u.k. Bosnien und Herzegowina.

Er erzählt, dass als er nach Österreich gekommen ist, das Thema Plurizentrizität der Sprachen noch nicht sehr weit verbreitet war. Jedoch bemerkte er viele bekannte Worte in der deutschen Sprache (Palatschinken) und so begann seine sprachliche Entdeckungsreise. Memić stellte auch fest, dass es diese Lehnwörter nicht nur im Ungarischen, Tschechischen, Serbischen, sondern auch im Bosnischen gibt und versuchte, diesen Wörtern auf den Grund zu gehen. Das Ergebnis ist sein Buch „Wörterbuch der Germanismen und Austriazismen im Bosnischen“. Die Erforschung des lexikalischen Wortschatzes einer Sprache bezeichnet er als Sisyphusarbeit, da das Thema nie vollständig bearbeitet werden kann. Jedoch versucht er den Gegenstand einzugrenzen und dann möglichst gut zu beschreiben. Als Beispiel führt er das Wort „Goiserer“ an, das in Österreich vor allem noch ältere Menschen kennen und das „festes Schuhwerk“ aus Bad Goisern in Oberösterreich bezeichnet. Im Bosnischen, Kroatischen und Serbischem (BKS) wird „gojzerica“ in der Alltagssprache verwendet.

Auf die Frage nach der Wechselseitigkeit in der Sprache antwortet er, dass Sprachkontakt über Prestigesprachen funktioniert. So gilt Englisch heute als Prestigesprache, d.h. wir sind „cool“ und nicht „leiwand“.  Und auch wenn einige Begriffe wie „šefica“ oder „kolega“ in die österreichische Alltagssprache Eingang gefunden haben, sind sie noch nicht in die deutsche Standardsprache vorgedrungen.

Abgerundet wurde das Gespräch mit der Frage inwieweit postkoloniale Theorien kulturelle Beziehungen, aber auch die politische Gegenwart erklären können und inwiefern diese in der Forschung eine Rolle spielen. Als Beispiel nennt Memić den Umgang mit der Beamtenschaft nach der Okkupation durch die k. und k. Monarchie (1878) und späteren Annexion Bosniens. Die Donaumonarchie hatte kein Vertrauen in einheimische Beamte und so wurde fast die gesamte Beamtenschaft durch Personen aus anderen südslawischen Gebieten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie ersetzt, die Träger des Sprachkontakts waren. In Bosnien und Herzegowina selbst gibt es unterschiedliche Sichtweisen auf die Vergangenheit. Einerseits werden die Maßnahmen zur Integration des Landes in die Monarchie, wie z.B. der Ausbau der Infrastruktur, positiv bewertet. Andererseits wird kritisiert, dass viele drängende Fragen, wie z.B. die feudalen Besitzverhältnisse in der Donaumonarchie, nicht gelöst wurden.

Die bisher an diesem Abend aufgezeigten Verflechtungen zwischen Österreich und Bosnien und Herzegowina in sprachlicher, historischer und kultureller Hinsicht ergänzt Marlene Fleischanderl um programmspezifische Aspekte der Zusammenarbeit in Erasmus+. Die WU wickelt seit 2015 Studierenden- und Lehrendenmobilitäten innerhalb der Programmaktion Erasmus+ International Mobility in Kooperation mit zwei bosnischen Universitäten ab. Zentral hierbei ist, dass im Aufbau dieser Erasmus+ Kooperationen auf bereits bestehende Partnerschaften durch national finanzierte Programme (CEEPUS) zurückgegriffen werden konnte. Die so etablierten Kooperationen und durchgeführten Mobilitäten verbessern nicht nur die Soft Skills der Studierenden und tragen maßgeblich zu den Internationalisierungsstrategien der beteiligten Institutionen bei, sondern ermöglichen auch eine größere thematische Vielfalt in der Lehre und Forschung (Fokus auf wenig bearbeitete Themen wie z.B. Big Data, disruptive Technologien). Durch die sich über Jahre festigende Kooperation entwickelte sich der Austausch mit der University of Sarajevo von klassischem Studierendenaustausch zu forschungsorientierten Kooperationen weiter. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auch Mediha Ohranović betont den Mehrwert, den die Universität Graz aus der ergänzenden Nutzung verschiedener Förderprogramme (Erasmus+ und CEEPUS) zieht. Für sie dienen nationale und europäische Förderschienen als akademische Brücken zwischen Österreich und Bosnien und Herzegowina. In ihrem Vortrag richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf CEEPUS und die akademischen Brücken die die Universität Graz als Teil ihres Südosteuropaschwerpunktes seit 2000 mit Institutionen aus Bosnien und Herzegowina (und anderen Staaten in der Region) aufgebaut hat. CEEPUS fungiert als wichtiges Instrument für beide Seiten, um diese akademischen Brücken zu festigen und stetig auszubauen. Im Moment ist die Universität Graz Teil von 14 CEEPUS-Netzwerken, die den Austausch von Studierenden und Personal innerhalb von fachspezifischen Netzwerken ermöglichen. Von den insgesamt 14 CEEPUS-Netzwerken der Universität Graz sind in elf Netzwerken auch bosnische Institutionen entlang unterschiedlicher Disziplinen (u.a. Pharmazie, Wirtschaftswissenschaften, Theologie, Slawistik, Soziologie) aktiv. Durch diesen langjährigen Austausch entlang von fachlich-orientierten Netzwerken werden nicht nur akademische Brücken gebaut, sondern auch kulturelle und interreligiöse.

Bevor der informelle Teil des Abends mit bosnischem Essen und bosnischer Musik eingeläutet wurde, lud Andreas Obrecht zur Podiumsdiskusion zum Thema „Educational and scientific cooperation between Bosnia and Herzegovina and Austria: Learning from each other“.

Die einleitende Frage, welchen Stellenwert Bildungs- und Wissenschaftskooperation dabei hat zwischenstaatliche Kooperation in anderen Bereichen zu fördern, beantwortet Siniša Bencun mit der Feststellung, dass die Kooperation im Bildungsbereich die Basis für alle weiteren Felder der Kooperation darstellt. Die nachhaltigen Effekte, die Zusammenarbeit im Bildungsbereich (inklusive jeglicher Form der Ausbildung) erzielt, sind in jedem Fall als Win-Win-Situation für Bosnien und Herzegowina als auch für Österreich einzustufen und sind auch für den Arbeitsmarkt der beiden Länder relevant. Entscheidender Faktor sind die persönlichen Kontakte, die durch den Austausch von Expertise und Wissen während der Ausbildung geknüpft werden. Selbst wenn eine Person nach der Ausbildung nach Bosnien/Österreich zurückkehrt, können sich aus diesen persönlichen und beruflichen Kontakten weitere (wirtschaftlich relevante) Spin-off-Effekte ergeben.  

Viktoria Kuzmits stimmt mit Siniša Bencun überein, dass Kooperation im Bildungsbereich eine Investition in die Zukunft der betroffenen Personen, aber auch in die Zukunft von Österreich und Bosnien und Herzegowina ist. Sie betont die Bedeutung von Ausbildung der einzelnen Person als Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand des gesamten Staates. Damit Bildungskooperation zielgenau die Anforderungen Bosnien und Herzegowinas und Österreich erfüllen kann, ist eine enge Abstimmung mit den zuständigen bosnischen Behörden (u.a. Bildungsministerien der Kantone, Handelskammer) unerlässlich. Diese enge Abstimmung ist zwar einerseits als Chance zu sehen Kooperation möglichst vorteilhaft für beide Seiten zu gestalten, jedoch stellt sie durchaus auch eine Herausforderung dar. Weitere Informationen finden Sie in einer Video-Botschaft von Viktoria Kuzmits.

Für Gerhard Volz ist Internationalisierung ein Konzept, das auf mehreren Ebenen wirkt. Neben der schon von Siniša Bencun und Viktoria Kuzmits angeführten Makro- bzuw. Systemebene, wirkt sie auf der Ebene der beteiligten Institutionen und der individuellen Ebene der mobilen Personen.

Durch den Mehrwert, der durch den Zugewinn von fachlichen, organisatorischen und interkulturellen Skills für die einzelne mobile Person entsteht, erwächst auch ein Mehrwert für die beteiligten Institutionen. Bei Lehrenden kann dies eine neue Perspektive auf die Forschung oder Lehre am eigenen Institut sein, bei Studierenden entsteht der Mehrwert durch die Erweiterung des Horizonts einzelner mobiler Personen oder durch Internationalisation@Home durch eine internationale Studierendenschaft.

Bosnien und Herzegowina ist Teil des europäischen Hochschulraums, weshalb der OeAD bemüht ist, Bildungskooperation über verschiedene Förderschienen möglich zu machen. Neben Erasmus+ und CEEPUS ist dies auch durch die Wissenschaftlich-Technische Zusammenarbeit (WTZ) oder über die drei OeAD-Lektor/innen in Banja Luka, Mostar und Sarajevo möglich.

Andreas Obrecht schließt die Podiumsdiskussion mit der Frage danach, welche Erwartungen die Gäste an die kürzlich aufgenommenen EU-Beitrittsgespräche mit Bosnien und Herzegowina bzw. an eine weitere Vertiefung der politischen Beziehungen zwischen Bosnien und Herzegowina und der europäischen Union haben. Siniša Bencun sieht in den sich vertiefenden Beziehungen eine Chance darauf, dass Bosnien und Herzegowina in größerem Umfang an Förderprogramme teilnehmen kann. Mediha Ohranović, die die krankheitsbedingt nicht vertretene Margarethe Rammerstorfer ersetzt, stimmt Bencun zu und ergänzt, dass sie für die Zukunft hofft, dass Bosnien und Herzegowina mehr und mehr als gleichberechtigter Partner auf Augenhöhe betrachtet wird. Lange Zeit wurde Bildungskooperation mit Bosnien und Herzegowina auf die Aufarbeitung und Erforschung des Krieges reduziert – bosnische Institutionen nicht als Akteure, sondern Forschungsthemen betrachtet. Ohranović, sieht durch die Beitrittsgespräche Potenzial, dass Bosnien und Herzegowina künftig die Möglichkeit haben wird als gleichberechtigter Partner die Regeln der Kooperation auszuhandeln (beispielsweise durch den Status eines Programmlandes in Erasmus+).

Im Programm finden sie ausführliche Lebensläufe der Sprecher und Sprecherinnen.

Dieses Video vermittelt ihnen Impressionen zu den Country Talks.

Hier können Sie die Länderstudie Bosnien und Herzegowina sowie Länderprofil Bosnien und Herzegowina ansehen.

Anlässlich des Country Talks haben wir aktuelle und ehemalige OeAD-Stipendiat/innen aus Bosnien und Herzegowina zu einer Fotochallenge eingeladen. Stipendiat/innen wurden gebeten Fotos mit einem kurzen Text von ihrem Aufenthalt in Österreich oder von Bosnien und Herzegowina zu schicken. Erhalten haben wir unterschiedliche Fotos von Freizeitaktivitäten, über die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Geschichte bis hin zum letzten Arbeitstag im Labor. Die Bilder wurden auf Facebook geposted und alle waren eingeladen, ihre Stimme abzugeben. Die meisten Likes erhielt Dajana Popović mit ihrem Foto vom besten Schiausflug mit dem WU Erasmus Buddy Network.
 

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