1995 wurde zwischen der Lviv Polytechnic National University (im Folgenden kurz: Lviv Polytechnic) und der Technischen Universität Wien (im Folgenden: TU Wien) eine akademische Zusammenarbeit auf der Ebene der Architekturfakultäten vertraglich vereinbart. Seither kooperieren unsere beiden Architekturschulen knapp drei Jahrzehnte in nachhaltiger Form unter Anwendung unterschiedlicher Methoden in Lehre und Forschung mit finanzieller und administrativer Unterstützung durch das Österreichische BM für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) und der OeAD-GmbH.
Historischer Kontext, Inhalte und Ziele der Kooperation
Während der k.k. Monarchie Österreich-Ungarn unterhielt die TU Wien1) mehrere Niederlassungen in den so genannten Kronländern. Eine davon war die Lviv Polytechnic2), 1844 in Lemberg, dem Sitz des Statthalters von Galizien gegründet. Die Gliederung der Fakultäten beider Hochschulen war ähnlich und auch die Lehrinhalte wurden zu dieser Zeit aufeinander abgestimmt, wodurch ein enger Austausch zwischen Lemberg und Wien entstand, der mit dem Zerfall der Monarchie 1918 unterbrochen wurde.
Zwischen 1993 und 1995 kam es zu einer Wiederbelebung der 1918 abgebrochenen Kontakte aufgrund einer Initiative durch Prof. Martin Kubelik, TU Wien und Prof. Andriy Rudnytskyi, Lviv Polytechnic. Diese anfänglichen Aktivitäten wurden vom Dekan der Architekturfakultät, Prof. Bohdan Cherkes sowie von der damaligen Leiterin des Ost- und Südosteuropa-Instituts Wien, Außenstelle Lemberg, Dr. Elisabeth Hofer forciert. Im Februar 1995 konnte mit der Vertragsunterzeichnung und der finanziellen Förderung durch das BMBWF3) ein institutioneller Grundstein für eine nachhaltige Zusammenarbeit unserer beiden Architekturfakultäten gelegt werden, die bis heute andauert.
Nach Martin Kubelik übernahmen Prof. Klaus Semsroth und Dr. Andreas Hofer vom Institut für Städtebau im Jahr 2000 die Koordination seitens der TU Wien. Seit der Emeritierung von Klaus Semsroth 2009 liegt die Koordination in den Händen von Bohdan Cherkes und Andreas Hofer.
Nachdem die inhaltlichen Schwerpunkte der Kooperation bis zum Jahr 2000 vor allem im Bereich der Baugeschichte und Baukunst lagen, wurden seither Themen der Stadtentwicklung, des Städtebaus und der Denkmalpflege fokussiert. Weitere Forschungs- und Arbeitsinteressen wie die Anwendung von modernen Holzbautechnologien sowie Kunst und Gestaltung des öffentlichen Raums wurden über die Jahre hinweg integriert. Ziele der Kooperation sind unter anderem der wissenschaftliche und methodische Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden beider Hochschulen, die praktische Umsetzung von Lehrinhalten und die Durchführung von Projektarbeiten sowie die Erforschung, Dokumentation und Publikation historischer und zeitgenössischer Phänomene in der Architektur und Stadtentwicklung. Diese genannten Ziele beinhalten die wesentlichen Eckpunkte unserer Kooperation seit mittlerweile knapp drei Jahrzehnten. Sie wurden und werden bei Bedarf punktuell aktualisiert, fokussiert oder erweitert und mit Ergänzungen versehen.
Die Kooperation unter dem Licht des Krieges
Der Überfall der Russischen Armee auf die Ukraine im Februar 2022 und der seither andauernde Angriffskrieg beeinflusst in mehrfacher Hinsicht die Praxis unserer Kooperation. Lemberger Studierende und Lehrende sind in Ihrer Arbeit erheblich eingeschränkt (Reisebeschränkungen, Stromausfälle, online-Unterricht, persönliche Betroffenheiten, ...); mit Studierenden der TU Wien in die Ukraine zu reisen, ist seither nicht vertretbar. Daher mussten wir den Fokus wie auch manche praktischen Formate des Kooperationsprogramms anpassen. Unsere gemeinsamen Zielsetzungen in Lehre und Forschung fokussieren wir nun deutlich stärker auf Urbane Resilienz und Urbane Rehabilitation. Dazu sind in den seither vergangenen 1000 Tagen einige nennenswerte Projekte und Initiativen entstanden, weitere sind in Planung: Die Semesterprojekte „Zboishcha-Lviv Resilient City“ hatten wir 2022 und 2023 gemeinsam mit dem Büro der Lemberger Stadtplanung und Studierenden aus unseren beiden Universitäten durchgeführt. Dabei sind innovative Vorschläge für die Entwicklung eines Stadtquartiers für Menschen Kriegserfahrung im Norden Lembergs entstanden. Weiters konnten wir 2024 die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb für Wiederaufbaustrategien von Wohnsiedlungen in Kharkiv in Form einer Sommerschule in das Curriculum unseres Masterstudiums integrieren.
Kolleginnen und Kollegen der Lviv Polytechnic haben im Kontext der Kooperation weiters ein eigenes Verfahren entwickelt, um denkmalgeschützte Objekte mittels einer Drohnenflug-basierten 3D Scan-Methode zu dokumentieren. Damit wird es möglich sein, wertvolle Architektur-Objekte (wie etwa die St. Nikolaus Kirche von Lemberg aus dem 13. Jh. oder die alte Synagoge aus dem 15. Jh.) im Fall ihrer möglichen Zerstörung wieder zu rekonstruieren.
Seit dem Sommersemester 2024 wird an der TU Wien ein neu geschaffenes Seminar zum Thema „Die Stadt und der Krieg“ angeboten. Bohdan Cherkes thematisiert darin städtebauliche Themen wie die rasche Errichtung von Flüchtlingscamps, neue resiliente Gebäudetypologien und die Rolle von städtischer Infrastruktur in Kriegszeiten. Schließlich sei noch das vom Lemberger Rathaus im Juni 2023 ins Leben gerufene, jährlich stattfindende „Urban Forum Lviv“ genannt, (lvivurbanforum.org) - eine Plattform für Diskussion und Austausch von internationalen Erfahrungen zu Strategien für Stadtentwicklung und Wiederaufbau. Die aktive Teilnahme an den vergangenen beiden Veranstaltungen mit Vorträgen von Akteurinnen und Akteure unserer Kooperation sowie eine weitere geplante Teilnahme am Forum 2025 soll unsere Bereitschaft zur Intensivierung des Dialogs mit der Stadtverwaltung und mit der Praxis auch in dieser schwierigen Zeit signalisieren.
Künftige Perspektiven
Für das 30-jährige Bestehen der Kooperation 2025 haben wir die Herausgabe einer Monografie mit dem Titel „Lviv – City in Transition. Urban Dialogues for the Future“ vorgesehen, deren Inhalt darauf abzielt, die zeitgenössische Stadtentwicklung Lembergs im Kontext eines nachhaltigen Diskurses zwischen Forschung und Praxis seit Kriegsbeginn und davor zu porträtieren. Der Russische Angriffskrieg hat seit Februar 2022 zwar zahlreiche Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung in Lemberg drastisch verändert, manche der langfristigen Ziele jedoch auch geschärft oder bestätigt. Ohne Zweifel haben die vergangenen 1000 Tage Kriegserfahrung auch für die Disziplin der Stadtplanung konkrete Forschungsfelder Fragen die etwa mit „Grundprinzipien oder Mindeststandards für eine urbane Resilienz“ umschrieben werden können, aufgeworfen und werden künftig stärker in die inhaltliche Ausrichtung der Kooperation integriert werden.
Auf der 2013 ins Leben gerufenen Website vienna-lviv.info sind all jene Initiativen, Projekte und Veröffentlichungen dargestellt, die wir für besonders repräsentativ für unsere Arbeit halten.
Andreas Hofer und Bohdan Cherkes
Exkurs: Da dieses Format der Zusammenarbeit stets von Personen getragen wurde und wird, ist an dieser Stelle anzumerken, dass unsere Kooperation von den damaligen Rektoren beiden Universitäten Prof. Peter Skalicky (Wien) und Prof. Yuriy Rudavsky (Lemberg) stets gefördert wurde. Weiters sind noch seitens des BMBWF Dr. Christoph Ramoser und ADir. Elisabeth Mayerhofer zu nennen, die seither unsere akademische Zusammenarbeit in dieser nachhaltigen Form nicht nur ermöglichen und sondern auch immer wieder beratend inspirieren. Schließlich waren und sind es auch die zum jeweiligen Zeitpunkt zuständigen Kolleginnen und Kollegen vom OeAD, die uns bei der praktischen Durchführung der Kooperation stets unterstützen.
Fussnoten
1) Die damalige Bezeichnung der TU Wien lautete „Technische Hochschule Wien“.
2) Die damalige Bezeichnung der Lviv Polytechnik lautete „L’vivska Polytechnika“.
3) Die damalige Bezeichnung des zuständigen Bundesministeriums lautete:
„Österreichisches Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr“