Operetten, Pierogis, Mondlandschaften und Elche - Mirjana Plaths Studienjahr in Kanada

6. September 2022 ScholarsAlumni
Doctoral Research Fellow Mirjana Plath erzählt von ihrem Forschungsaufenthalt im Studienjahr 2021/22 am Wirth Institute for Austrian and Central European Studies an der University of Alberta in Edmonton, Kanada

Erzähl uns kurz von Deiner Motivation, sich für eine Doctoral Research Fellowship an der University of Alberta/Edmonton zu bewerben. Warum hast Du gerade dieses Thema und diese Institution gewählt? Warum Alberta?

Thema meiner Dissertation sind Transferprozesse von Operetten zwischen Wien, Berlin und Stockholm von 1927 bis 1945. Dabei konzentriere ich mich auf die Bearbeitungsstrategien ursprünglich deutschsprachiger Operetten für Inszenierungen in Stockholm. Ich möchte den Kontext der Operetteninszenierung in Stockholm erforschen und so ein tieferes Verständnis der Veränderungen ermöglichen.

Da ich mich mit einem interkulturellen Thema in meiner Doktorarbeit beschäftige, fand ich das Konzept des Wirth Institutes von Beginn an sehr spannend: Hier wird der Austausch mit anderen Ländern so positiv gelebt! Ich habe nicht nur Kolleg*innen aus Kanada, sondern auch aus Polen, Ungarn, Tschechien und Kroatien. Dadurch konnte ich im letzten Jahr viele unterschiedliche Perspektiven auf meine Arbeit als Wissenschaftlerin kennenlernen. Es ist sehr schön, wie am Wirth Institute die Freude an der Gemeinschaft verschiedener Länder zelebriert wird.

Außerdem bietet die University of Alberta für mich perfekte Forschungsvoraussetzungen. Hier arbeiten renommierte Experten für Wiener Musik und die Geschichte Zentraleuropas, von denen ich viel lernen konnte. Ich wurde vom Wirth Institute in meiner jungen Wissenschaftskarriere wunderbar unterstützt – bei Konferenzen, beim Schreiben von Fachpublikationen und bei der Orientierung in diesem vielfältigen und herausfordernden Berufsfeld habe ich mich sehr gut begleitet und beraten gefühlt.

Neben diesen fachlichen Vorteilen des Fellowships an der U of A hat es mich aber natürlich auch gereizt, ein so schönes Land wie Kanada für ein Jahr zu besuchen und die Kultur in Nordamerika besser kennenzulernen. Alberta ist landschaftlich sehr reizvoll – ich habe vor meinem Auslandsjahr in Kanada nie eine Landschaft wie die „Bandlands“ gesehen, wie es sie in Drumheller in Alberta gibt. Das sieht aus wie auf dem Mond! Auch die Rocky Mountains mit der wilden Natur – den Bären, Elchen, Kojoten oder den Streifenhörnchen – sind sehenswert.

Beschreibe kurz das Hauptziel und die Ergebnisse des Studienjahres in Kanada und das Projekt:

In meiner Dissertation untersuche ich, wie Wiener und Berliner Operetten ab den späten 1920er Jahren bis 1945 nach Stockholm gekommen sind und aufgeführt wurden. Ich lese Regiebücher und Partituren auf Deutsch und Schwedisch und suche nach Unterschieden in den Übersetzungen. Bestenfalls kann ich auch herausfinden, warum bestimmte Szenen für Operettenaufführungen in Stockholm verändert wurden. Zum Beispiel macht sich die Wiener Operette gerne über die Landbevölkerung außerhalb der Großstadt lustig. In Stockholmer Übersetzungen von Wiener Operetten der 1920er Jahre wird die Provinz nicht so lächerlich dargestellt. Das könnte daran liegen, dass viele Operettenproduktionen nach einer Stockholmer Premiere durch Schweden getourt sind und in kleineren Ortschaften aufgeführt wurden. Bei diesem Publikum wären Witze über die angebliche Zurückgebliebenheit der ländlichen Bevölkerung nicht gut angekommen.

In dem Zeitraum, den ich untersuche, hat die Politik in Deutschland und Österreich viele Menschen zu einem Umzug oder einer Flucht getrieben. Viele Künstlerinnen und Künstler, die im Bereich der Operette arbeiteten, hatten jüdische Wurzeln oder waren im Kabarett tätig und hatten sich dabei kritisch zur aktuellen Politik geäußert. Ein Beispiel dafür ist Max Hansen, der ein Spottlied auf Adolf Hitler gesungen hat. Nach 1933 konnte er nicht mehr in Deutschland arbeiten und zog zunächst nach Österreich, und nach dem Anschluss Österreichs 1938 weiter nach Dänemark und Schweden. Er hat dann in Stockholm viele Operetten aufgeführt, die er aus Wien und Berlin kannte.

Auch die Rolle von Schweden als Gastland für Geflüchtete und als neuer Arbeitsraum für Künstlerinnen und Künstler ist für meine Arbeit relevant. Schweden profitierte während der Kriegsjahre wirtschaftlich stark vom Handel mit Nazideutschland. Um den Handelspartner Deutschland nicht vor den Kopf zu stoßen, wurde die Kunstfreiheit in Stockholm teilweise auch eingeschränkt. Wie die Operette – in der traditionell viel Spott mit dem aktuellen Weltgeschehen getrieben wurde – in dieser Zeit in Stockholm gestaltet wurde, finde ich spannend herauszufinden.

Welche Erfahrungen waren für Dich besonders wichtig? Gibt es eine relevante Anekdote oder Geschichte, die Du gerne erzählen möchtest?

Besonders schön empfinde ich in Kanada, wie so viele Menschen mit Migrationshintergrund friedlich miteinander leben. Ich habe den Eindruck, dass die Vielfalt hier größtenteils als etwas Positives gesehen wird. Es gibt in Edmonton viele interkulturelle Festivals, die die Gemeinschaft der unterschiedlichen Menschen feiert, wie beispielsweise das Heritage Festival. Ich habe in Edmonton auch meine Liebe für polnische Pierogis entdeckt – das hatte ich in Deutschland und Österreich nie gegessen!

Am spannendsten war es für mich, die Natur Kanadas zu erleben, ob in den Rocky Mountains oder bei den tosenden Niagara Wasserfällen. Ich habe hier Kojoten, Schwarzbären und Grizzlys, Otter und im Meer auch eine Orkaflosse gesehen – alles zum Glück mit sicherem Abstand. Das war eine einzigartige Erfahrung.

Welche Auswirkungen wird das Stipendium auf Deine persönliche und berufliche Entwicklung haben? Was sind Deine Pläne für die Zukunft?

Mein Stipendium des OeAD hat mir viele Türen geöffnet und berufliche Chancen ermöglicht. Ich habe an drei internationalen wissenschaftlichen Konferenzen teilgenommen und konnte auch drei Publikationen fertigstellen, die alle eng mit meiner Forschungsarbeit an einem Austrian Studies Center verknüpft sind.

Direkt im Anschluss an mein Fellowship konnte ich mich auch erfolgreich auf eine Universitätsstelle bewerben: Ich werde als Doktorandin an der Universitetet i Oslo in Norwegen arbeiten. Mein Stipendium vom OeAD hat mir dabei einen erheblichen Vorteil für meine Bewerbung verschafft und ich bin für diese Chance und das Vertrauen, die der OeAD mir und meiner Forschung geschenkt hat, sehr dankbar!

Lebenslauf

Nach ihrem Abitur in Baden-Württemberg und einem Au Pair-Jahr in Schweden hat Mirjana Plath Kunstgeschichte, Medienwissenschaft und Musikwissenschaft (Bachelor of Arts) an der Universität Marburg in Deutschland und der Universität Oslo in Norwegen studiert. 2019 hat sie ihren Master in Musikwissenschaft an der Universität Wien in Österreich abgeschlossen. Bevor sie sich 2021 für ein Doktorat der Musikwissenschaft an der Uni Wien eingeschrieben hat, hat sie für drei Jahre im Kulturbereich gearbeitet, zuerst beim Grafenegg Festival in der Presseabteilung und danach bei der Volksoper Wien im Sponsoring & Fundraising.

Links

Youtube-Link zu Mirjanas Central European Talk vom März 2022
In diesem Video gibt sie eine Kurz-Einführung in ihr Forschungsthema und stellt auch Max Hansens Arbeit in Stockholm etwas näher vor