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© Thor Balkhed

Marietta Blau Alumnus erhält ERC Starting Grant

Johannes Bintinger erhielt die ERC Starting Grant, um eine neuartige Krebstherapie zu entwickeln. Der OeAD gratuliert sehr herzlich!
11 min lesen · 08. November 2023

Johannes Bintinger erhielt im Studienjahr 2014/15 das Marietta Blau Stipendium, mit dem er für 12 Monate an der Columbia Universität für seinen PhD forschen konnte. Er promovierte an der TU Wien und hat seither ein Startup gegründet und ist in Weiteren aktiv. Nach einigen Jahren in Schweden kehrt er wieder an die TU Wien zurück, um am Institut für Angewandte Synthesechemie, am Lehrstuhl für Theranostische Chemie zu forschen.

Wir haben Herrn Bintinger zu seinem Werdegang und seiner Forschung befragt. Er gibt Tipps für angehende Marietta Blau-Bewerberinnen und Bewerber sowie angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, beschreibt was ihn zu seiner Forschung inspiriert hat und welche Pläne er für die Zukunft hat:

Können Sie sich noch erinnern, was Sie damals motiviert hat, sich für ein Marietta Blau-Stipendium zu bewerben? Warum hatten Sie sich für die Columbia Universität entschieden?

Ich habe aktiv nach einer Gelegenheit gesucht, im Ausland zu studieren, und hatte bereits durch ein vorheriges Stipendium (Marshall Plan Fellowship) sehr positive Erfahrungen an der Columbia University gemacht. Damals konnte ich jedoch nur für 6 Monate bleiben. Das Marietta-Blau-Stipendium hat mir die einzigartige Möglichkeit geboten, für weitere 12 Monate an die Columbia zu gehen. Als organischer Chemiker schloss ich mich einer Gruppe am Institut für Elektrotechnik an, was sicherlich ungewöhnlich war. Aber durch meine finanzielle Unabhängigkeit, die ich durch das MB-Stipendium erlangte, wurde dies möglich.

Professor Ioannis Kymissis hatte kurz zuvor ein Buch über organische Feldeffekttransistoren veröffentlicht und fand es äußerst interessant, neue Konzepte mit meinen Materialien zu testen. Das Know-how der Gruppe sowie die Infrastruktur waren erstklassig. Finanziell war das Marietta Blau-Stipendium auch besonders wichtig für mich, da die Finanzierung meiner PhD-Stelle zu diesem Zeitpunkt nur zu etwa 20 % gedeckt war. Tatsächlich hatte ich zum Zeitpunkt meiner Bewerbung für das Stipendium nur noch etwa 4 Monate finanzielle Sicherheit. Das war wirklich keine angenehme Situation und hat enormen Druck ausgelöst, aber mich auch dazu gebracht über den Tellerrand zu blicken, um neue Ideen zu entwickeln.

Welche Auswirkungen hatte das Stipendium für Ihre Laufbahn sowie persönliche und berufliche Entwicklung?

Das war damals schon ein absoluter Jackpot für mich und hat mich rückblickend maßgeblich beeinflusst. Nicht nur, dass ich mir damit ein weiteres PhD Jahr finanzieren konnte, sondern das MB erlaubte mir eine andere Laborkultur und Forschungslandschaft kennenzulernen. Darüber hinaus hat sich für mich ein völlig neues Forschungsfeld eröffnet und nach einigen Publikationen und meiner Rückkehr nach Österreich war es genau diese Forschung, die mir den Einstieg am Austrian Institute of Technology ermöglichte. Aber es ging nicht nur um akademisches Interesse, sondern wir haben diese Technologie patentiert und mittlerweile sogar ein Start-Up (NOSI; https://nosi.tech/) gegründet. Dabei handelt es sich um elektronische- also künstliche Nase (https://www.youtube.com/watch?v=Z0CrmQq9kKI), die in verschiedenen IoT-Anwendungen (Gesundheitswesen, Industrie, Landwirtschaft) Verwendung finden. 

Welche Art von Netzwerken konnten Sie während des Stipendiums aufbauen?

Während meines Stipendiums konnte ich unbezahlbare Verbindungen zu Kollegen knüpfen, die später für meine berufliche Entwicklung von großer Bedeutung wurden. Das Stipendium ermöglichte mir, ein internationales Netzwerk aufzubauen, auf das ich auch heute noch zurückgreife. Was mich jedoch am meisten beeindruckt hat, war die unternehmerische Mentalität an der Columbia University. Hier erkannte ich, dass wissenschaftliche Publikationen zwar wichtig sind, aber oft nur begrenzten Nutzen für die Allgemeinheit haben, solange sie nicht in konkrete Anwendungen oder Produkte überführt werden. Professor Kymissis hatte damals bereits 4 Start-Ups gegründet und war ein wahres Feuerwerk an Ideen und Energie. Das hat mich tief beeinflusst, da ich eine solche Dynamik in dieser Form in Österreich nicht oft erlebt habe. Mittlerweile bin ich selbst in 3 Start-Ups aktiv.

  1. n-ink - https://www.n-ink.com/; CEO
  2. NOSI - https://nosi.tech/; CSO; co-founder
  3. Iontronics - https://www.iontronics.com/; CSO

Was empfehlen Sie Personen, die sich derzeit für das Marietta Blau-Stipendium bewerben?

Sei begeistert und voller Enthusiasmus für deine Forschung! Wenn du nicht begeistert bist, warum sollte es dann der Gutachter sein?

Erkundige dich bei Kollegen, ob bereits bestehende Netzwerke oder Verbindungen existieren.

Frag in der Forschungsgruppe nach, ob das Projekt von Interesse ist, und entwickle eigene kreative Ideen.

Ein Gutachter (im besten Fall) wird etwa 1-2 Stunden für deine Bewerbung aufwenden und bereits innerhalb der ersten 5 Minuten eine vorläufige Meinung bilden. Daher ist es entscheidend, die Idee in einfachen Worten zu erklären, damit Experten aus verschiedenen Bereichen (Chemie, Physik, Elektrotechnik) den Ansatz verstehen können. Bedenke, dass dein Gutachter möglicherweise nicht im gleichen Fachgebiet oder am gleichen Problem wie du arbeitest. Gutachter sind Kollegen mit 100 anderen Verpflichtungen und Fristen; sie könnten deine Bewerbung in einem Zug, Flugzeug, nachdem sie ihre Kinder ins Bett gebracht haben, oder am Wochenende lesen. Stell daher sicher, dass deine Abbildungen selbsterklärend sind und die Botschaft effektiv vermitteln.

Welche Ratschläge haben Sie für aktuelle Stipendiatinnen und Stipendiaten?

Nütze dein neu gewonnenes Netzwerk und pflege es. Egal, ob du dich akademisch oder industriell weiterentwickelst, ein starkes Netzwerk ist unbezahlbar und kann dir in vielen Situationen von Nutzen sein.

Genieße die Erfahrung deines Stipendiums, aber setze gleichzeitig alles daran, dein Projekt erfolgreich abzuschließen. Jeder Aufwand, den du früh investierst, kommt später doppelt und dreifach zurück, sei es in Form von wissenschaftlichem Erfolg, beruflicher Weiterentwicklung oder persönlichem Wachstum.

Wie kann man Ihre aktuelle Forschung beschreiben?

Meine aktuelle Forschung fokussiert sich auf 3 verschiedenen Gebiete:

In meinem ERC (Time2SWITCH; https://liu.se/en/news-item/tre-liu-forskare-delar-pa-53-miljoner-fran-erc) und EIC (bioSWITCH; https://bioswitch-project.eu/; https://liu.se/en/news-item/tre-liu-forskare-delar-pa-53-miljoner-fran-erc; https://bioswitch-project.eu/); Projekten entwickeln wir eine neuartige Krebstherapie. Herzstück ist eine Plattform zur Medikamentenabgabe, welche die gleichzeitige, jedoch unabhängige Freisetzung mehrerer Medikamente (Pharmazeutika) mit elektronischer Präzision ermöglicht.

Aktuell werden Medikamente in der Regel in Form von Pillen oder intravenös verabreicht, was zu einer unkontrollierten Verbreitung im gesamten Körper und potenziell schwerwiegenden Nebenwirkungen führt. Darüber hinaus kann mittels konventioneller Methoden in der Regel nur eine Substanz bzw. Medikament gleichzeitig verabreicht werden, und das mit begrenzter Kontrolle. Aufgrund dieser Limitationen können heutzutage vielfach nur Medikamente mit begrenzter Potenz bzw. Wirksamkeit eingesetzt werden, da man sonst durch eine höhere Dosierung die Gefahr unerwünschter und schwerer Nebenwirkungen ebenfalls erhöht.

Um diese Herausforderungen zu bewältigen, kombinieren mein Team und ich zwei Technologien; i) organische elektronische Ionenpumpen mit ii) bioorthogonaler Chemie. Dadurch können wir die richtige Dosis am richtigen Ort zur richtigen Zeit verabreichen, und zwar mit elektrischer Präzision.

Unsere Vision ist es, eine grünere Zukunft zu schaffen, in der leistungsstarke und temperaturbeständige Kondensatoren und Batterien in Synergie mit äußerst effizienten organischen Solarzellen stehen. Diese werden durch kostengünstige und skalierbare Drucktechniken hergestellt, um die nachhaltige Elektrifizierung der Zukunft voranzutreiben. Diese Forschung ist bereits sehr fortgeschritten und Unternehmen wie Epishine (https://www.epishine.com/) und Ligna Energy (https://lignaenergy.se/) zeigen, was in Zukunft möglich sein wird. Es geht um gedruckte, kostengünstige und anpassbare Energielösungen, die dazu beitragen werden, eine umweltfreundliche Zukunft zu gestalten, ohne dass wir auf seltene Rohstoffe oder schwer zugängliche Materialien angewiesen sind.

(siehe ‚Kann mein Handy riechen‘ https://www.noe-familienland.at/fileadmin/user_upload/Familienzeit-Magazin/Magazin-PDFs/2022/FZ_04-2022_Innovation_webversion_optimized.pdf; https://www.youtube.com/watch?v=Z0CrmQq9kKI )

In diesem Projekt bzw. Unternehmen (NOSI) arbeiten wir an einer künstlichen Nase, um Gerüche zu digitalisieren. Dabei nutzen wir innovative Sensormaterialien, einen patentierten Herstellungsprozess und setzen auf maschinelles Lernen (KI) sowie KI-basierte Automatisierung, um eine einzigartige Sensorplattform zu entwickeln, die auf die Bedürfnisse der Nutzer zugeschnitten ist. Dies eröffnet völlig neue Anwendungsmöglichkeiten, angefangen bei der Erkennung von Krankheiten über den Atem bis hin zur Qualitätskontrolle in der Produktion und der Überwachung von Lebensmitteln auf ihre Qualität.

Wissenschaftliche Vorbilder und Star Trek

Für mich muss Wissenschaft inspirieren, Spaß machen und die aktuellen Grenzen des machbaren dehnen. Arthur Clarke hat folgendes dazugesagt: Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden. Als bekennender bzw. praktizierender Academic Trekkie (dh Star Trek Fan) bin ich ganz begeistert von den Technologien, die hier vorgestellt werden und welche ihrer Zeit weit voraus waren und sind; Tricorder, Hypospray, Nanoprobes etc Wenn man so will arbeite ich daran aus dieser Science-Fiction einmal eine Science Realität zu machen (https://www.youtube.com/watch?v=Z0CrmQq9kKI). Damit die Wissenschaft aber auch für die breite Masse zugänglich wird, ist es unerlässlich auch diese Erkenntnisse verständlich einem breiten Publikum zu präsentieren. Genial in diesem Zusammenhang war natürlich Carl Sagan (Cosmos – TV Serie) der das wie kein anderer konnte. Die Science Busters in Österreich machen das ebenfalls mit viel Humor und einem tollen Team.

Welche Möglichkeiten eröffnen sich für Sie durch den ERC Starting Grant, und welche wurden durch das EIC Pathfinder Projekt eröffnet?

Ich bin wirklich dankbar darüber, dass der ERC Mittel für die Entwicklung von Krebstherapien der nächsten Generation bewilligt hat, die langfristig hoffentlich Patienten zu Gute kommen. Darüber hinaus eröffnet der ERC mir die Möglichkeit eine neue Forschungsdisziplin mit aufzubauen und eine eigene Gruppe zu etablieren, um Grundlagenforschung zu betreiben.

Das EIC Pathfinder Projekt hat den Anspruch die Ergebnisse auch direkt zu verwerten, das heißt im Idealfall die Technologie so weit zu entwickeln, dass wir im nächsten Schritt an erste Versuche im Menschen denken können. Das geht natürlich nicht alleine und ich bin extrem glücklich an diesem Projekt gemeinsam mit einem internationalen Top Team zu arbeiten und wirklich neue Wege zu beschreiten. Insofern ist unsere Iontronics Firma der Startpunkt für weitere Aktivitäten in diese Richtung.

Insgesamt tragen sowohl der ERC Starting Grant als auch das EIC Pathfinder Projekt dazu bei eine neue europäische Technologie zu erforschen um neue Krebstherapien zu entwickeln.

Wissenschaftliche Zukunft und Rückkehr an die TU Wien

Ich werde konsequent an der Weiterentwicklung der drei Technologien, an denen ich arbeite, hin zur Marktreife arbeiten: Krebstherapien, leitfähige Polymere und die elektronische Nase. Um den chemischen Aspekt der SWITCH Technologie (Krebstherapie) weiterzuentwickeln und um ggf. auch andere Krankheiten (Nervenregeneration und Alterungsprozesse) damit zu therapieren, habe ich mich auch entschlossen wieder an meine Alma Mater, die TU Wien, zurückzukehren um dort am Institut für Angewandte Synthesechemie, am Lehrstuhl für Theranostische Chemie zu forschen. Theranostics ist ein englischer Kunstbegriff aus Therapie und Diagnostik, das heißt also nicht nur Krankheiten zu erkennen (Diagnostik = Atemgasanalytik) sondern eben auch zu Therapieren (Krebstherapie mit SWITCH Technologie).

Mit NOSI wollen wir neue Wege beschreiten, um Gerüche zu digitalisieren. Die neue Firma wird sich in der ersten Phase auf sehr angewandte Kundenprojekte im Bereich Smart Buildings (indoor air quality; Bed Bugs), Smart Farming (Früherkennung von Schädlingen), und Gesundheit (Früherkennung von Krankheiten und Lifestyle Indikatoren zB Stress) fokussieren. Der IoT Sektor bietet dabei unglaubliche Möglichkeiten und Anwendungen.

Für n-ink haben wir ebenfalls sehr ambitionierte Pläne und bereiten gerade den Markteintritt unseres dritten Produktes (N43) vor. Unsere Vision ist es, eine grünere Zukunft zu schaffen, in der leistungsstarke und temperaturbeständige Kondensatoren mit äußerst effizienten organischen Solarzellen zusammenarbeiten, die durch kosteneffiziente und skalierbare Drucktechniken hergestellt werden, um die nachhaltige Elektrifizierung der Zukunft voranzutreiben. Gemeinsam werden wir den Weg in eine grünere, intelligentere und elektrifizierte Zukunft ebnen.

CV:

Johannes Bintinger hat 2016 an der TU Wien im Bereich Technischer Chemie promoviert und danach als PostDoc am Austrian Institute of Technology an elektronischen Nasen und biosensorischen Plattformen gearbeitet bevor er 2019 seinen zweiten PostDoc an der Linköping University im Bereich Drug Delivery Systems (Medikament Dosiersysteme) angetreten hat. 2021 wurde er Geschäftsführer von n-ink und entwickelt als Mitgründer von NOSI (2023; elektronische Nase) und Iontronics (2023; Krebstherapie) diverse Technologien zur Marktreife. 2023 bekam er den ERC Starting Grant, um eine neuartige Krebstherapie zu entwickeln.

Links:

ERC bzw EIC Projekte – Krebstherapien

N-ink – leitfähige Polymere

NOSI – digitale Nase

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