Manchmal führt uns ein Studienaufenthalt nicht nur in ein anderes Land, sondern zugleich in eine andere geistige Landschaft, und verändert die Richtung unseres beruflichen Weges grundlegend. Zum ersten Mal führte mich ein Stipendium bereits im Jahr 2000 nach Österreich, damals als junge Doktorandin im Rahmen des Ernst-Mach-Stipendiums. Ich war als Gastforscherin am Institut für Germanistik an der Universität Wien unter der Betreuung des berühmten Literaturwissenschaftlers Prof. Dr. Wendelin Schmidt-Dengler. Dieser erste Aufenthalt war weit mehr als ein pragmatischer Schritt auf meinem akademischen Weg: Er war eine prägende Erfahrung, die mir zeigte, welchen Wert wissenschaftlicher Austausch, jenseits aller Grenzen, haben kann.
Mir öffneten sich nicht nur die Türen zu bedeutenden Archiven und Bibliotheken, sondern vor allem zu einem geistigen Raum, in dem Forschung, Literatur und kultureller Austausch untrennbar miteinander verbunden sind. Die Tage in Wien, begleitet vom Duft alter Bücher, vom Klang deutscher Sprache und von inspirierenden Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen, gehörten zu den prägendsten Momenten meines akademischen Lebens.
Heute leite ich mit großer Freude die Österreich-Bibliothek Franz Werfel in Jerewan – einen Ort, der nicht nur Bücher beherbergt, sondern Begegnungen ermöglicht. Hier verbinde ich wissenschaftliche Arbeit mit kultureller Vermittlung und sehe es als meine Aufgabe, Brücken zwischen Österreich und Armenien zu schlagen. In Workshops, Vorträgen und gemeinsamen Projekten mit österreichischen Partnerinstitutionen gelingt es, jungen Menschen den Zugang zu deutschsprachiger Literatur zu eröffnen, mit all ihren Fragen, ihren Zwischentönen und ihren Geschichten.
Mein akademischer Werdegang, von der Promotion bis hin zur Tätigkeit als Dozentin und Übersetzerin, ist dabei eng mit den interkulturellen Erfahrungen verflochten.
Zu den wichtigsten Meilensteinen meiner Laufbahn zählen die Einrichtung fächerübergreifender Lehrveranstaltungen, die Teilnahme an internationalen Germanistik-Tagungen sowie die Entwicklung gemeinsamer Projekte mit den deutschsprachigen Universitäten.
Rückblickend kann ich sagen, dass das Stipendium in Österreich meine Sicht auf die Welt grundlegend erweitert hat: Es hat mir gezeigt, dass wissenschaftliche Arbeit dann besonders lebendig wird, wenn sie im Dialog mit anderen Kulturen steht. Es hat meine Werte geprägt und meinen Blick für die Verantwortung geschärft, die mit jeder Form von Bildungsarbeit verbunden ist.
Über Dr. Liana Safaryan
Univ.-Dozentin Dr. phil. Liana Safaryan ist OeAD-Alumna, arbeitet an der staatlichen W.Brjussow-Universität in Jerewan und lehrt Germanistik sowie Weltliteratur und -kultur. Sie leitet die Österreich-Bibliothek Franz Werfel und engagiert sich in der Literaturvermittlung, in der Organisation von ÖSD-Prüfungen sowie als Übersetzerin deutschsprachiger Literatur ins Armenische. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der deutschsprachigen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, der Literaturdidaktik im Bereich Deutsch als Fremdsprache (DaF) sowie der Landeskunde. Neben ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit ist sie in zahlreichen Fachgremien aktiv und pflegt enge wissenschaftliche Kooperationen mit österreichischen Institutionen.